Ein Bad in der Enttäuschung

Kartoffelkäfer fressen sich beim 1:2 in Alkmaar selbst: Zweitligist Alemannia Aachen fehlen zehn Minuten zur Sensation, Komplimente mag danach niemand mehr hören

ALKMAAR taz ■ Als Alemannia Aachens Spieler nach dem 1:2 steingesichtig ihre Kulturbeutel zum Bus schleppten, hatte sich im Alkmaarderhout zu Alkmaar ein Kulturbruch sondergleichen ereignet: Fans des heimischen AZ hatten vereinzelt applaudiert. Und das nicht mal ironisch. Beifall für deutsche Fußballer in Holland – eine Umwertung aller Werte, vorher so unvorstellbar wie schmackhafte holländische Tomaten.

Kapitän Erik Meijer hatte beim Schlusspfiff den Spielkameraden Reiner Plaßhenrich bei der Hand genommen und zur Kabine geführt. Dem jungen Simon Rolfes (22) fehlte solche Orientierungshilfe. Er ging im Mittelkreis ein paar Schritte hierhin und dahin, wechselte wieder die Richtung und ließ die Schultern so tief hängen, als wollte er damit den zerfurchten Rasen glatt wischen. Dabei fuhr er sich mit dem Trikot immer wieder durch die Augen.

Zweitligist Alemannia Aachen hatte in der niedlichen Bretterbude von Alkmaar, welches sie dort ernsthaft „Stadion“ nennen, nach dem 0:0 im Hinspiel dem „Offensivexpress AZ Alkmaar“ (de Telegraaf) lange Zeit sehr clever sehr wenig gestattet. Sie hatten gegen Hollands Erstligazweiten verdient geführt durch Meijers fünftes Europapokaltor der Saison (31.). Dann kam der Deichbruch im Polderland: ein dämlicher Platzverweis für Thomas Stehle (72.) und tatkräftige Beihilfe bei beiden Gegentoren in den Minuten 62 und 80.

Wortreich, aber sprachlos versuchten die Aachener das Drama zu erklären. Torwart Stephan Straub stammelte von „Katastrophe, bitter, beschissen, grandios gespielt …“ und verhaspelte sich dann komplett: „Ich bin völlig fertig.“ Alexander Klitzpera: „Die Schmerzen sind brutal.“ Trainer Dieter Hecking: „Wir baden in Enttäuschung.“ Und Sportdirektor Manager Jörg Schmadtke sprach von „einem der bittersten Momente“ seiner Karriere. AZ-Trainer Co Adriaanse („Ja, dat is jammer voor Aken“) lobte derweil in der „Topsponsorenkamer“ die „fantastische Leistung der Aachener Mannschaft“. Deren Präsident Horst Heinrichs wollte indes „keine Komplimente mehr“ hören: „Danke, nein, es reicht.“

Dabei war Alemannias Albtraum von Alkmaar nur der Tragödien Schlusspunkt seit Beginn der Fastenzeit: Schon das Hinspiel hätten sie gewinnen können. Noch am Sonntag hatten sie den FC Köln in dessen Stadion sogar in Unterzahl beherrscht, aber kurz vor Schluss durch einen abgefälschten Kullerball 0:1 verloren. „Ich weiß wirklich nicht mehr, womit wir das alles verdient haben“, so Abwehrchef Klitzpera.

Aber es war nicht nur Pech. Die gelb-rote Karte für Stehle (Spitzname: „die Axt“) war sein zweiter Platzverweis innerhalb von vier Tagen und hatte „den Domino-Effekt“ (Meijer) mit ausgelöst. Trainer Hecking war über Stehle „sehr sehr erbost, das war dämlich“. Manager Schmadtke richtete den Blick stur ins Ungefähre: „Wir haben selbst alles dafür getan, dass das Spiel für uns auf dem Tablett lag. Ich bin bitter enttäuscht, wie wir mit dieser Chance umgegangen sind.“

Noch mehr als Sündenbock Stehle war Simon Rolfes die tragische Leid-Figur. Nach 57 Minuten hatte der DFB-Perspektivspieler freistehend die Chance zum mutmaßlich entscheidenden 2:0 und scheiterte am Torwart. Und trotz erneut vorzüglichen Spiels hatte Rolfes exakt zwei schwache Szenen: Unglücklich angeschossen vor dem 1:1, dann für einen Moment unkonzentriert beim 1:2. Vielleicht schrecken diese Szenen die Erstligaspione ab: Rolfes steht unter Dauerbeobachtung der halben Bundesliga. Auf Alkmaars wackeligen Holztribünen froren Wolfsburg-Coach Erik Gerets und für Bayer Leverkusen der Exauswahlspieler Paul Steiner.

Gäbe es jenseits der alten Feindesstadt Köln und seiner Geißbock-Gänger jemanden, der die Aachener verspotten wollte, würde das so gehen: Warum säen sie mit Geschick, lassen die Früchte der Arbeit gedeihen, aber „fahren die Ernte nicht ein“ (Schmadtke)? Weil es Kartoffelkäfern, so Alemannias alter Spitzname, wesenseigen ist, die Ernte zu vernichten.

Doch traurig ist das Ende des Uefacup-Märchens zu guter Letzt auch für die Exilheimstatt Köln: „Der Exot Aachen“ (so gestern das Exotenblatt Aachener Zeitung) zelebriert keine tollen Europapokalabende mehr in Müngersdorf. Dort gibt es jetzt nur noch den ätzenden Ergebnisfußball des 1. FC. BERND MÜLLENDER